Psychisch instabil #1: Wie umgehen mit psychisch belasteten Mitarbeitenden?
Der Umgang mit psychisch instabilen Mitarbeitenden ist für viele im Unternehmen noch immer ein heikles Thema. Es bestehen Berührungsängste und Stigmatisierung. Die allgemeine Handlungskompetenz zu stärken und über angemessene Reaktionsmöglichkeiten aufzuklären ist ein wichtiger Schritt, Betroffene rechtzeitig aufzufangen.

Betriebliche Gesundheitsförderung ist mittlerweile nichts Neues mehr. Fast jedes Unternehmen mit einer gewissen Anzahl an Mitarbeitenden hat ein internes oder externes Gesundheitsförderungsprogramm oder zieht zumindest gelegentlich Elemente aus der betrieblichen Gesundheitsförderung hinzu. Dabei liegt der Fokus meist auf der körperlichen Fitness, ergonomischen Bedingungen am Arbeitsplatz sowie Bewegungs- und Ernährungsangeboten.
Jünger ist da die Aufmerksamkeit für mentale Gesundheit am Arbeitsplatz. Zwar wurde diese auch schon in klassischeren Ansätzen der Organisationsentwicklung berücksichtigt, jedoch eher marginal, wie etwa über die Arbeitszufriedenheit, gelegentlich auch Konzepte zur Stressprävention oder der Bemühung um eine gute Work-Life-Balance.
Wie verhält man sich jedoch, wenn eine Person im Arbeitsumfeld plötzlich stärker psychisch belastet scheint als über den gelegentlichen Arbeitsstress hinaus? Wenn sie beispielsweise häufig stark niedergeschlagen und unmotiviert wirkt. Oder von familiären Problemen berichtet, ihre Raucherpausen stark zunehmen oder ihre Krankenstände länger werden. Psychische Erkrankungen oder psychische Belastung sind am Arbeitsplatz noch immer ein schwieriges Thema und begegnen vielen Berührungsängsten und Vermeidung. Dabei bräuchte es vielleicht gar nicht viel, um die Person aufzufangen. Gerade Mitarbeitende, das eigene Team oder eine Vorgesetzte, zu der ein gutes Vertrauensverhältnis besteht, können eine hilfreiche Ressource sein. Exemplarisch sollen im Folgenden Beitrag Möglichkeiten für Unterstützung, aber auch Grenzen der eigenen Handlungsfähigkeit besprochen werden.
Von Verantwortung und Verhalten
Wie erkenne ich, ob es einem Kollegen einfach mal nicht gut geht oder er vielleicht unter einer Depression leidet? Wir verhalte ich mich, wenn meine Angestellte am Arbeitsplatz eine Panikattacke erlebt? Wie gehe ich als Führungsperson mit einem Suizid in der Belegschaft um?
Es gibt viele Fragen, die man sich im Zusammenhang mit der eigenen Verantwortung und dem eigenen Reaktionsrahmen bei psychischer Belastung im Umfeld stellen kann. Um es gleich vorwegzunehmen: es müssen nicht alle davon beantwortet werden. Häufig ist der erste und wichtigste Schritt, aufmerksam zu sein und der nächste, nicht wegzuschauen. Wenn man aufmerksam für sein Umfeld bleibt, dann fallen einem an den Mitmenschen eher Veränderungen auf, die auf eine Belastung der mentalen Gesundheit hindeuten können. Eine Kollegin, die sonst ein Sonnenschein ist, in letzter Zeit aber eher gereizt, müde und unzuverlässig scheint. Ein Mitarbeiter, der früher keine Gelegenheit ausgelassen hat, in der Kaffeeküche zu plaudern, nun jedoch oft bei der Arbeit fehlt und wenn er da ist, soziale Interaktionen eher meidet. Es gibt viele Nuancen, an denen man spüren kann, dass die andere Person nicht ganz sie selbst ist.
Wenn einem solche Veränderungen einmal aufgefallen sind, ist es wichtig, diese nicht einfach hinzunehmen. Das heißt nicht, dass man eine Kollegin direkt mit ihrem mentalen Zustand konfrontieren muss, wenn sie einmal ihren Kaffee mit Milch statt schwarz trinkt. Wenn sich die Zeichen jedoch häufen und über einen gewissen Zeitraum zu beobachten sind, sollte man sich überlegen, wie man an die Person herantreten kann, um herauszufinden, ob sie Unterstützung braucht. Denn das ist meist ausreichend beziehungsweise übersteigt alles weitere zumeist die eigenen Kompetenzen und Kapazitäten. Der Person aber zu signalisieren, dass man sie sieht und sich sorgt, ist oft schon hilfreich und erleichtert es, sie in einem weiteren Schritt dazu zu motivieren, professionelle Hilfe zu holen.
Fühlt man sich persönlich nicht wohl damit, auf Betroffene zuzugehen, kann man sich zum Beispiel Unterstützung im Kollegenkreis suchen, etwa in einer Person, von der man weiß, dass sie ein Vertrauensverhältnis zur betroffenen Person hat. Eine andere Möglichkeit ist es, sofern vorhanden, Anlaufstellen im Unternehmen zu nutzen, die speziell für solche sensiblen Themen zuständig sind, wie etwa eine vom Personal gewählte Vertrauensperson. Gibt es solche noch nicht, könnte man sich dafür einsetzen, dass so etwas eingeführt wird.
Vielen geht es so, dass sie Hemmung haben, jemanden darauf anzusprechen, ob alles in Ordnung ist. Dies ist verständlich, aber nicht berechtigt. Klar, man betritt sensibles Gebiet und dringt in die Privatsphäre einer Person ein. Es ist jedoch immer der richtige Schritt. Auch, wenn die betroffene Person davon vielleicht erst einmal überfordert ist, ist es dennoch richtig, ihr zu signalisieren, dass es ihrem Umfeld auffällt und nicht egal ist, wie es ihr geht. Wie, wo und wann man allerdings das Gespräch sucht, sollte gut überlegt sein. Wichtig hierbei ist es, einen Moment und Ort zu wählen, in dem eine geschützte und vertraute Atmosphäre entstehen kann. Auch sollte das Gespräch nicht in einem Moment gestartet werden, wo wenig Zeit ist, falls sich das Gespräch vertieft oder die Person plötzlich instabil wird und die Situation aufgefangen werden muss.
So könnte man den Kollegen oder die Mitarbeiterin beispielsweise fragen, ob sie gemeinsam zu Mittag einen Kaffee trinken möchte und sich dafür an einen ruhigen Platz setzen. Auch kann man das Gespräch erst einmal unverfänglich einleiten und etwas später erst darauf zu sprechen kommen. Geeignete Openings könnten sein: „Du, ich habe in der letzten Zeit beobachtet, dass du nicht ganz du selbst bist und dir die Arbeit vielleicht etwas schwerer fällt. Ist alles in Ordnung bei dir? Ich mache mir etwas Sorgen.“ Oder „Ich kenne dich gar nicht so ruhig. Ich frage mich, ob es dir aktuell nicht so gut geht. Muss ich mir Sorgen machen?“ Man sollte dabei darauf achten, keine Bewertung einfließen zu lassen. Das Gegenüber soll sich nicht bedroht fühlen. Auch kann man signalisieren, dass man sich Sorgen macht und wirklich aus ehrlichem Interesse am Wohlbefinden des anderen fragt.
Kommt es dann dazu, dass die Person auf das Gesprächsangebot eingeht und sich öffnet, ist das Beste, was man tun kann, zuzuhören. Zu zeigen, dass man da ist und sich für das Wohlbefinden der anderen Person interessiert, ist oft schon eine große Hilfe. Hierbei ist es nun wichtig, zu erkennen, wo die eigenen Grenzen liegen. Es geht hier nicht darum, ein therapeutisches Gespräch zu ersetzen. Am besten ist es, wertungsfrei und möglichst kommentararm zuzuhören. Dies kann man seinem Gegenüber auch spiegeln, indem man sagt, dass man keine psychologische Fachkraft sei und es wichtig ist, professionelle Hilfe zu bekommen. Somit sollte man die Person bestmöglich dazu motivieren, entsprechende Angebote aufzusuchen. Gerne kann man auch anbieten, sie bei der Suche oder Organisation eines Termins zu unterstützen, falls dies allein zu viel Kraft oder Mut kosten würde.
Die eigene Psychohygiene ist genauso wichtig
Bei all dem sollte man auf keinen Fall vergessen, auch auf sich selbst zu achten. Zum einen, wie weit es einem gut damit geht, sich in eine entsprechende Verantwortung zu involvieren. Und wo die eigenen Grenzen liegen. Aber vor allem sollte man versuchen, dieselbe Fürsorge auch auf sich anzuwenden. Wenn man merkt, dass man selbst nicht stabil ist und alles nicht mehr ganz so leicht und mit Freude geht, wie zuvor. Dann ist es wichtig, den Mut haben, Hilfe und Unterstützung aufzusuchen. Wir sind mittlerweile in einer Zeit angekommen, wo Scham und Schweigen nicht mehr zum Thema psychische Gesundheit und Krankheit dazugehören sollten.
Eigentlich sollte man einen Menschen überhaupt nicht bemitleiden, besser ist es, man hilft ihm.
von Maksim Gorki