Chefsache: Warum die Übergabe von Verantwortung so schwer fällt
Wie kann es dazu kommen, dass manche Unternehmen Führungskräfte beschäftigen, die den ganzen Tag zig Entscheidungen treffen, mit der Materie selbst aber nicht mehr viel zu tun haben? Wir zeigen die bedenklichen Ursachen und Folgen der "Ich mach das schon"-Kultur in Unternehmen.

„Wenn man seine Dinge gut gemacht haben will, muss man sie selbst machen.“ Es scheint fast so, als hätte sich dieser Glaubensgrundsatz tief in die Strukturen der deutschen Unternehmenslandschaft eingegraben. Gerade Projekte mit mittelständischen Unternehmen zeigen mir diese Tatsache immer wieder auf. (Beinahe) die gesamte Entscheidungsbefugnis und Verantwortung konzentriert sich auf die höchsten Hierarchieebenen im Betrieb, während die Abteilungen selbst kaum dazu in der Lage sind Entscheidungen auf Basis ihrer eigenen Kompetenz zu treffen. Die Folgen sind ein massiver Einbruch im Mitarbeiter-Commitment und vor allem im Verantwortungsgefühl der Mitarbeiter. Auch größere Unternehmen sind davor nicht geschützt. Vielmehr werden Kompetenzen u.a. von Bereichsleitern getragen, welche mit der täglichen Arbeit der Abteilungen nicht zwangsweise vertraut sind. Ich möchte daher diese Woche mit Ihnen über die möglichen Ursachen und Folgen einer derartigen Situation diskutieren.
Die Gründungsproblematik
Meiner Erfahrung nach sind die Führungskräfte am anfälligsten, die das Unternehmen aus einer anderen Entwicklungsphase kennen. Zum Beispiel waren sie Teil des Gründungsteams, oder stießen in einer recht frühen Phase der Unternehmensentwicklung hinzu. Aus dieser Zeit sind sie es gewohnt über weite Bereiche zu entscheiden und dies auch einigermaßen bewältigen zu können. Diese Art der Unternehmensführung funktioniert zu anfangs meist auch sehr gut, da es noch überschaubare Abteilungsgrößen, kurze Kommunikationswege und einen starken Austausch zwischen den Mitgliedern gibt. Aus dieser Phase lernen die Führungskräfte, dass sie genügend Kompetenzen in sich vereinen, um ihre Verantwortungsbereiche im Griff zu haben. Ist das Unternehmen jedoch erfolgreich, so wachsen nicht nur die Abteilungen. Die Aufgaben werden umfangreicher, die Produkte spezifischer, die Prozesse komplexer und die Anforderungen an die eigene Person umfangreicher. Zu diesem Zeitpunkt benötigt das Unternehmen weniger eine operativ ausführende Kraft, sondern vielmehr einen fähigen Manager. Dieser muss u.a. in der Lage sein Kompetenzträger zu identifizieren, Aufgaben zu delegieren, das operative Geschäft anzuleiten und vor allem Entscheidungsbefugnisse zu verteilen. Diese dringend notwendige Veränderung der eigenen Aufgaben findet jedoch oftmals nicht statt. Die mittlerweile fachlich oft kompetenteren Mitarbeiter werden bei Entscheidungen übergangen, oder nicht ausreichend berücksichtigt. Die zusätzlich wachsende Aufgabengröße an die Führungskraft hat zur Folge, dass pro Aufgabe und Entscheidung weniger Zeit übrig bleibt, als dies noch in der Vergangenheit der Fall war. In Folge dessen werden Entscheidungen herausgezögert, oder aus dem Bauch heraus spontan getroffen. Der Manager ist allein überhaupt nicht mehr dazu in der Lage seine alten Kompetenzbereiche vollständig auszufüllen, nimmt diese Situation jedoch oftmals nicht ausreichend wahr. „Ich mache dies nun schon seit 10 Jahren, also werde ich es auch in Zukunft bewältigen können!“- dies ist das verzerrte Bild, das von diesen Personen dann verinnerlicht wird. Dass die Qualität ihrer Arbeit und auch sie selbst zwangsweise darunter zu leiden beginnen, wird dabei selten rechtzeitig bemerkt.
Die Folgen dysfunktionaler Verantwortung
Jedes Unternehmen, ob Bäckerladen oder auch internationaler Konzern, wurde zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit gegründet. Die Übergangsphase zwischen „Start-up“ und etabliertem Unternehmen ist hierbei essentiell dafür, wie sich die zukünftige Unternehmenskultur gestaltet. Sollte es nicht geschafft werden, ein gut strukturiertes Management-System zu etablieren, so kann sich die oben beschriebene Problematik fest in die Unternehmensstruktur einfressen. Ich saß bereits in größeren Gruppen (ca. 5.000 Mitarbeiter), welche ebensolche Ballungszentren der Verantwortung beibehalten hatten. Solange der Markt steigende Unternehmenszahlen und stetiges Wachstum gewährleistet, so können auch derartige Defizite mitfinanziert werden. Jelänger sie jedoch mitgetragen werden, desto unwahrscheinlicher wird es, dass sie aus dem Unternehmen entfernt werden. Warum ich hierbei von einem Defizit spreche, möchte ich natürlich näher erläutern:
Verantwortungs-Starre
Wie bereits in meinem letzten Artikel (Agilität: Die Angst vor zu hohen Wellen) erwähnt, sehe ich in der Starrheit eines Unternehmens auch dessen größte Schwäche im Falle wandelnder Marktanforderungen. Gerade hier wird es besonders problematisch, sollten Einzelpersonen für einen großen Bereich wegweisende Entscheidungen treffen müssen. Es lässt sich in derartigen Situationen ein Mangel an zeitlichen, oder auch fachlichen Ressourcen erkennen, die für inhaltlich fundierte Entscheidungs-Analysen nötig wären. Sollten zusätzlich die notwendigen Kompetenzträger im Unternehmen nicht in die Entscheidungsfindung eingebunden worden sein, so kann auf einem flexiblen Markt nicht länger adäquat reagiert werden.
Unternehmensbindung
Das Gefühl einer gemeinsamen Verantwortlichkeit für das Unternehmen und der einheitliche Wille das Unternehmen voran zu bringen, ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zukunft. Diese Bindung kann jedoch nur entstehen, wenn der Mitarbeiter den Eindruck hat einen wesentlichen Teil zum Unternehmenserfolg beizutragen. Jeder Angestellte sollte daher das Gefühl bekommen, dass er mit seinen Fähigkeiten aktiv am Erfolg des Unternehmens mitwirkt. Wenn nun allerdings bei den Kompetenzträgern der Abteilungen die nötige Verantwortung nicht zu finden ist und Entscheidungen ohne deren Berücksichtigung getroffen werden, so leidet der Glaube an die gemeinschaftliche Ziel-Arbeit. Schlussendlich bleibt das Gefühl: „Was auch immer ich hier mache, macht keinen Unterschied."
Mitarbeiter-Commitment
Die Folgen für das Commitment dieser Mitarbeiter kann nur als fatal bezeichnet werden. 'Dienst nach Vorschrift' wird zum Standard und der Wille einen Mehraufwand für das Unternehmen zu leisten schwindet. Wie der "Pain-Points“-Artikel von Carina (Die 10 Pain-Points im Change-Prozess) bereits deutlich machen konnte, ist der einflussreichste Grund für ein Scheitern von Projekten ein mangelndes Mitarbeiter-Commitment. Jemehr die Verantwortung der Mitarbeiter nach unten geschraubt wird, desto mehr Positionen werden auch mit Mitarbeitern besetzt, welche diese Art der Arbeit bevorzugen, weil motivierte Mitarbeiter kündigen. Unternehmen verlieren damit wertvolle Mitarbeiter, welche nach Verantwortung streben und ersetzen sie mit Mitarbeitern die sich damit abfinden können, „dass die da oben eh machen was sie wollen.“ Im schlimmsten Falle werden ehemals gebundene Mitarbeiter derart demotiviert, dass sie aus Frust kontraproduktives Verhalten an den Tag legen.
Es ist oftmals noch nicht zu spät
Selbst wenn sich dysfunktionale Verantwortlichkeiten bereits in die Unternehmensstruktur eingearbeitet haben, so ist dies nicht unumkehrbar. Das größte Problem ist jedoch, dass das Unternehmen seine Mitarbeiter mittlerweile zu einer Haltung konditioniert hat, welche Verantwortung ablehnt. Denn wie bereits oben beschrieben, haben sich die Mitarbeiter entweder bereits damit abgefunden, oder wurden bereits mit neuen Angestellten ersetzt, die dieses Modell bevorzugen. Schließlich kann man die Schuld für jedes Problem den Entscheidungsträgern übertragen und selbst weiterhin das tägliche Soll abarbeiten. Für längere Zeit keine Verantwortung gehabt zu haben kann schließlich auch dazu führen, dass diese nicht mehr gewollt wird. Unternehmen die sich bereits in einer solchen Situation befinden, müssen äußerst behutsam damit umgehen. Verantwortungen sollten transparent und vor allem in kleinen Stücken an die Abteilungen zurückgegeben werden. Die Mitarbeiter müssen erst wieder lernen die positiven Seiten dieses Modells wahrzunehmen. Außerdem bedeutet es auch praktisch einen neuen Arbeitsaufwand, der erst einmal strukturiert und eingegliedert werden muss. Von einer plötzlichen 180 Grad Wendung ist daher dringend abzuraten. Es ist unabdingbar diesen Schritt gemeinsam mit den Abteilungen und den Mitarbeitern zu planen und zu diskutieren. Denn ein erster Schritt zu mehr Verantwortung sollte es sein, die Meinung der Mitarbeiter in die Entscheidung mit einzubeziehen, wie viel sie davon wieder tragen können.
Wer sich fürchtet, Verantwortung zu übernehmen, wird immer mehr der Willkür anderer preisgegeben, und muss zusehen, wie der größere Gewinn aus seinen Fähigkeiten Fremden zufließt.
von Prentice Mulford