Scheitern: Dumm bleiben vs. Chance nutzen
Anstelle sich ein Scheitern einzugestehen, nehmen viele Unternehmen lieber massive Kosten in Kauf, um dysfunktionale Prozesse weiter zu betreiben. Aus dieser Aversion entsteht innerhalb des Unternehmens eine Kultur, welche ein Scheitern auch innerhalb der Mitarbeiterschaft verbietet. Warum dies verändert werden muss, möchten wir diese Woche erläutern.

Der Begriff des Scheiterns ist im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft äußerst verpönt und gilt generell als Signal des totalen Versagens. Die Angst vor einer direkten Assoziation mit den Worten „Pleite“, „Insolvenz“ und „Krise“ ist groß, weshalb der Begriff gerne komplett aus dem Wording der Unternehmenskommunikation gestrichen wird. Dabei liegt allein das Scheitern bei angestoßener Veränderung (und wenn es nur kleine Prozesse sind) seit Jahrzehnten knapp an der 80%-Marke. Unternehmen leiten diese Angst meist direkt an ihre Mitarbeiter weiter, wodurch das Lernen aus gescheiterten Anstößen schnell gegen null tendiert. Wir möchten uns in dieser Woche daher näher damit beschäftigen, warum Scheitern mit dem richtigen Vorgehen und der richtigen Betrachtungsweise eine Startrampe für Erfolg sein kann und wie man es schafft den Begriff des Scheiterns zu endstigmatisieren. Neben der Angst vor dem Scheitern hat sich derzeit gerade im Bereich der „Start-Up Kultur“ eine folkloreähnliche Stimmung gegenüber diesem Zustand entwickelt. Bevor dieser Artikel also falsch eingeordnet wird, möchten wir uns auch hiervon klar distanzieren. Zwar gehört Scheitern zum Leben eines jeden Menschen und Unternehmens, allerdings betrachten wir dies weder als chic noch als erstrebenswert.
Warum sollte ich ein Scheitern akzeptieren?
Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“ heißt es so schön, und genau diesem Grundsatz sollte man auch im Setting der Arbeit folgen. Oftmals wird ein Scheitern ignoriert, umformuliert und im schlimmsten Fall unter den Teppich gekehrt. In einem solchen Fall hat das Unternehmen meist selbst ein Problem damit, dem Prozess des Scheiterns adäquat zu begegnen. Einzelne Mitarbeiter kopieren dieses Verhalten ab einem gewissen Zeitpunkt und verstärken damit den Kreislauf indirekt. Ein Lernen aus Fehlern und eine interne Innovation ist damit beinahe ausgeschlossen. Im schlimmsten Fall trägt man dadurch Prozessleichen und dysfunktionale Umstände in der Bilanz mit, ohne zu merken, dass hier eine große Gefahr für das Unternehmen schlummert. Spätestens wenn der Markt für das Unternehmen schwieriger wird, machen sich derartige Leichen bemerkbar und können ein Unternehmen in eine Schieflage drängen.
Das nötige Fundament
Aus diesem Grund liegt meiner Ansicht nach zuerst das Unternehmen in der Verantwortung eine Aufarbeitung von gescheiterten Prozessen zu ermöglichen und zu forcieren. Nur wenn der Mitarbeiter die nötige Grundlage vorfindet, um ein Scheitern zu melden, und ihm daraus progressive Konsequenzen entstehen, kann auch von ihm erwartet werden sich mitzuteilen. Negative Konsequenzen, wie z. B. direkte und indirekte Bestrafungen für den Mitarbeiter (etwa durch das zukünftige Ignorieren von Meldungen, unnötige Nachschulungen etc.) können hierbei eine Blockade darstellen. Mögliche Beispiele für progressive Konsequenzen wären u. a. Belohnungen für Innovationsideen, der direkte Austausch mit dem Mitarbeiter über die Rahmenbedingungen des Scheiterns, gemeinsam erarbeitete Hilfestellungen etc. In den allermeisten Fällen ist nicht der Mitarbeiter Grund des Scheiterns, sondern es sind die Rahmenbedingungen, auf die dieser trifft.
Das Idealbild einer lebenden Fehlerkultur
Wie kann man also das Idealbild einer Kultur definieren, welche progressives Scheitern forciert? Ich möchte dies anhand eines Prozessbeispiels greifbar erläutern. Angenommen die Firma Müller kauft einen neuen Fertigungsprozess für die Herstellung von Reagenzgläsern. Der Prozess beinhaltet sowohl Maschinen als auch Softwareanwendungen und wurde nach intensivem Abwägen für einen großen Geldbetrag eingekauft. Die neue Fertigung wird eingerichtet und umgesetzt, wobei der alte Prozess vollständig abgelöst wird. Spätestens nach der Ablösung des alten Prozesses ist das neue Vorgehen zum Scheitern verurteilt und damit zum Erfolg verurteilt. Angenommen dieser Prozess erzeugt bei den Mitarbeitern regelmäßige Fehler, so zeigt sich das Idealbild einer „Kultur des progressiven Scheiterns“ in folgenden Kernfaktoren:
Nachfrage schlägt Nachschulung
Systematische Fehler werden wie bereits gesagt selten durch den einzelnen Mitarbeiter verursacht. Dennoch schalten Unternehmen oftmals automatisch kostspielige Nachschulungen, welche den Mitarbeiter vor zukünftigen Fehlern bewahren soll. Dies kann unter Umständen auch zum gewünschten Ziel (weniger Fehler) führen, könnte aber auch überhaupt keinen Effekt haben. In jedem Fall sollte nach einem geschehenen Fehler gemeinsam mit dem Mitarbeiter eruiert werden, welche internen wie externen Faktoren für den Fehler ursächlich waren. Erst dann können die nötigen Konsequenzen gezogen werden. Manchmal muss der Mitarbeiter geschult, meistens aber am Prozess nachgebessert werden.
Die Reißleine und die versunkenen Kosten
Bereits zum Zeitpunkt der Anschaffung des neuen Fertigungsprozesses hat sich die Firma Müller als Idealbeispiel bereits Gedanken über den Fall der Fälle gemacht. Wenn das mögliche Scheitern eines neuen Prozesses akzeptiert wird, kann sich bereits frühzeitig über einen Notfallplan Gedanken machen und damit massive Kosten eingespart werden. Die größte Gefahr hierbei liegt in den sogenannten „versunkenen Kosten“. Ein großer Prozess mit hohem Investment und hoher Bedeutsamkeit wird selten schnell wieder verworfen. Bedenklich wird dies dann, wenn z. B. viele Nachbesserungen in den Prozess fließen und früher oder später die Kosten für die Erstanschaffung zu übersteigen drohen. Dadurch, dass die vielen Nachbesserungen kleinere Kostenfaktoren darstellen als die Erstanschaffung, fallen sie weniger auf und werden eher durchgewinkt. Das derzeit tragischste Beispiel hierfür ist wohl der nie fertigstellbare Flughafen in Deutschlands Hauptstadt. Um ein solches Desaster zu vermeiden, muss ein klarer Kostenzeitpunkt festgesetzt werden, zu dem auch die teuerste Neuanschaffung verworfen werden muss und die Reißleine gezogen wird.
Aus einem gescheiterten Prozess lernen
Die Nachfolgekosten des neuen Fertigungsprozesses bei Firma Müller haben die festgelegte Schwelle überschritten und soll aus diesem Grund zurückgefahren werden. In dieser Phase steht man meist in der Zwickmühle den alten Prozess aus gewichtigen Gründen ersetzen werden sollte und eigentlich nicht wiederkommen sollte. Auf der anderen Seite steht die Gefahr Hals über Kopf in einen neuen Prozess zu stürzen, welcher das Chaos komplettieren würde. Bevor hier jedoch eine Entscheidung getroffen werden kann, zieht die Firma Müller zunächst ein fundiertes Fazit über den gescheiterten Prozess. Wichtig hierbei ist es, nicht erst beim Point of no Return mit der Evaluation zu beginnen, sondern bereits von Beginn an in regelmäßigen Abständen Vor- und Nachteile eines Vorgehens zu überprüfen. Dieses Fazit zieht die Firma Müller als Vorbild natürlich nicht nur im Kreise des Managements, sondern gemeinsam mit einer Auswahl verantwortlicher Mitarbeiter, die direkt in Kontakt mit diesem Prozess stehen Aus diesen Gesprächen entsteht ein Anforderungsprofil, das sowohl intern als auch extern formuliert wird. Extern gilt dieses Anforderungsprofil an einen neuen Prozess, der gefunden werden muss. Intern wiederum werden Verhaltensweisen formuliert, welche jeden Mitarbeiter eines neuen Prozesses in die Verantwortung für eine gemeinsame Gestaltung dessen nimmt. Wird ein solches Anforderungsprofil bei der Suche nach einem neuen Prozess adäquat umgesetzt, so kann ein neuer Prozess in jedem Fall nur besser werden, als dies mit dem gescheiterten Vorgehen jemals möglich gewesen wäre.
Die drei Pfade des Scheiterns
Firma Müller nimmt also höhere Erstmalkosten in Kauf, um Langzeitkosten zu sparen und das Unternehmensumfeld zu verbessern. Andere Firmen könnten zum Beispiel den neuen Prozess als gescheitert akzeptieren, aber inhaltlich ein mangelhaftes Resümee ziehen, welches schlussendlich in einen erneut mangelhaften Prozess münden könnte. Daneben gibt es diejenigen, welche sich nicht eingestehen, gescheitert zu sein, und um das eigene Gesicht zu wahren, lieber in Kauf nehmen dumm zu bleiben.
Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht
korrigiert, begeht einen zweiten.
von Konfuzius