Die Manchester AG: Vom Maschinenraum zur modernen Metropole
Städte unterscheiden sich oft nur marginal von Unternehmen. Bei meiner letzten Reise nach Manchester wurde das richtig deutlich, wie äußere Umstände zu kultureller Veränderung führten und wie wichtig es ist, dass diese von den einzelnen Menschen mitgetragen wird.

Eine Reisegeschichte. Kaum ein Ort, den ich bisher besuchte, hat mich so beeindruckt wie Manchester, und mir ist aufgefallen, wie viele Parallelen gezogen werden können zwischen einem Unternehmen und einer ganzen Stadt. Beides sind „lebende Organismen“.
Ich bin ohne große Vorkenntnisse, aber mit vielen Vorurteilen für ein paar freie Tage nach Manchester geflogen. Ein Grund dafür war, dass zu diesem Zeitpunkt die Flüge relativ günstig waren und ich noch einmal vor dem BREXIT eine englische Stadt besuchen wollte.
Der Besuch entpuppte sich als große, lebendige Metapher über die Notwendigkeit von Veränderung, die Wichtigkeit einer Vision und den Sinn von Arbeit. Eine ganze Stadt lebt Werte, die jedes Unternehmen und jeder Mitarbeiter beherzigen sollte.
"Was Manchester heute macht, macht die ganze Welt morgen“, heißt ein alter Spruch aus viktorianischen Blütezeiten.
Industrialisierung war Kulturwandel
Wie so viele Städte hat auch Manchester viele Veränderungen erlebt und mitgestaltet. Die Gegend gilt als die Keimzelle der weltweiten Industrialisierung. Hier fuhr die erste Eisenbahn (den ersten Bahnhof dazu kann man noch besichtigen) und die Dampfmaschine wurde hier erfunden. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde in Manchester bis zu 70 % der weltweiten Baumwolle verarbeitet. Viele Unternehmer wurden damit reich.
In einer Baumwollspinnerei aus dem 19. Jahrhundert wurde mir eindrücklich vor Augen geführt, wie dieser Reichtum zustande kam. Die Arbeitsbedingungen waren brutal und ausbeuterisch. Die untersten Arbeiten wurden von 9- und 10-jährigen Kindern ausgeführt, die man in Kinderheimen „kaufen“ konnte. Manchester hat sich aber auch als erste Stadt „revolutionär“ aus diesem Joch befreit. In meinen Augen ein notwendiger Wandel der Unternehmenskultur.
An diesem Abend bin ich im Hotellift mit einem Mann ins Gespräch gekommen, der mir erzählte, dass er sich mit Studienfreunden trifft, mit denen er in den 1960er Jahren in Manchester studierte. Er hat davon geschwärmt, wie sich Manchester in den Jahrzehnten verändert hat. Er hat mir Fotos aus dieser Zeit gezeigt, bei denen man nicht glaubt, dass es sich um die gleiche Stadt handelt. Er hat uns dazu geraten, „the Lowry“ zu besuchen. Dieses Museum ist dem Maler L.S. Lowry gewidmet, der Manchester seit der Nachkriegszeit porträtiert hat. Ein beeindruckendes Zeugnis für Veränderung in einem sehr beeindruckenden Museum.
Einen bewegenden Neuanfang musste Manchester 1996 gestalten. Die IRA hat in Manchester den größten Bombenanschlag ihrer Geschichte verübt. Dank einer Warnung konnten 80.000 Menschen evakuiert werden, so dass Gott sei Dank nur wenige Menschen verletzt und niemand getötet wurde. Die 1500 kg Autobombe hat einen erheblichen Teil der Innenstadt von Manchester zerstört. Manchester hat diesen dramatischen Einschnitt genutzt, um sich zum wiederholten Mal neu zu erfinden und das Zentrum neu zu gestalten. In vielen Fällen wurden wundervolle Verbindungen zwischen Modernität und Erhaltung der Historie erreicht. Ein Beispiel dafür ist die John Rylands Library mit den historischen Lesesälen.
Ach ja, alle Museen in Manchester haben freien Eintritt, es wird ausschließlich um eine kleine Spende gebeten.
Sie werden zu Recht einwerfen, dass viele Städte (gerade im Ruhrgebiet) diese Veränderungen durchmachen mussten, ich hatte aber den Eindruck, dass alle Veränderungen mit großem Mut und auch Radikalität weitreichend umgesetzt wurden. Das kann nur funktionieren, wenn die Menschen, die diese Veränderung tragen müssen, mitziehen.
Genau hier besteht eine direkte Verbindung zu Unternehmen. Alle Unternehmen müssen sich wieder und wieder neu erfinden. Nur wenn die Mitarbeiter diese Veränderung mittragen, kann sich das Unternehmen weiter erfolgreich entwickeln. Für mich hat das unter anderem mit zwei Faktoren zu tun.
Respekt und Toleranz als Teil der Veränderung
Am zweiten Morgen wollte ich nicht im Hotel frühstücken, sobin ichein paar Blocks gelaufen und habe mir ein „einheimisches“ Lokal gesucht (Roc [&] Rye). Meine Begleitung wollte ein „Manchester Egg“ zum Frühstück. Als uns die Bedienung das Frühstück brachte, hat sie uns angesprochen, woher wir kommen und was unsere Pläne sind in Manchester. Sie hat sich dann kurz zu uns gesellt und uns erzählt, dass sie mit ihrer Familie aus Polen kommt, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie hat nach 7 Jahren Manchester als ihre zweite Heimat bezeichnet. Mir ist in dem Gespräch aufgefallen, dass sie nicht mit uns gesprochen hat, weil sie musste, sondern weil sie wirkliches Interesse hatte. Wir haben das als sehr sympathisch und aufgeschlossen empfunden.
Es ist schwierig zu beschreiben, warum man sich in einer Stadt oder einem Unternehmen wohlfühlt. Es ist ja auch ein Gefühl. Es geht aber direkt von den Menschen aus.
An diesem Nachmittag fuhren wir von „the Lowry“ mit der Straßenbahn wieder Richtung Hotel. Wir standen vor dem Linienplan und waren uns nicht so ganz sicher, welche Linie die richtige ist. Nach 2 Minuten hat uns ein Mann an der Haltestelle angesprochen. Er meinte, wir sehen aus, als ob wir Hilfe brauchten. Er hat uns dann die richtige Linie genannt und als die Bahn kam, noch ein kurzes Zeichen gegeben, dass das jetzt die richtige ist.
Manchester ist ein Schmelztiegel der Kulturen und hat nach meinem Gefühl daraus eine eigene Kultur der Toleranz und Wertschätzung entwickelt. Manchester hat den höchsten Anteil an BREXIT-Gegnern in ganz England und geht doch ganz eigen damit um.
An dem Wochenende, an dem ich zu Besuch war, hatte die konservative Partei um Theresa May ihren Parteitag in Manchester, und ich bin unversehens in die Nähe eines Protestzuges geraten. Für die 30.000 Demonstranten waren meines Erachtens nicht mehr als 100 Polizisten notwendig, um für Ordnung zu sorgen. Alles war sehr zivilisiert. Ich habe am nächsten Tag in der Zeitung gelesen, dass es zu einem Zwischenfall gekommen ist. Ein Rollstuhlfahrer hat das Gleis einer Straßenbahn blockiert; er musste weggeschoben werden. Protest kann auch tolerant und respektvoll sein.
Kurzer Sidefact: Marx und Engels haben in Manchester gelebt und studiert. Man kann in der Chetham Library am Originaltisch sitzen und fast spüren, wie sie diskutiert haben.
Respekt als Teil der Wertschätzung
Wertschätzung hat nichts damit zu tun immer nur „Bitte“ und „Danke“ zu sagen oder jemanden einfach nur für seine gute Arbeit zu loben. Ich fühle mich wertgeschätzt, wenn ich das Gefühl habe, in einer fremden Community wirklich respektiert zu werden.
Als Deutscher wird man in Großbritannien des Öfterenmit schlimmen Bezeichnungen konfrontiert. Die „Krauts“ ist da noch harmlos.
Manchester hat das typischerweise auf eine tolle Art und Weise gelöst. In Anlehnung an „Mancunians“ (die Einwohner Manchesters), werden die Deutschen „Germancs“ genannt. Eine größere Wertschätzung kann man eigentlich einem Fremden nicht entgegenbringen, als ihn auf diese Weise einzubinden.
Mein Fazit zur „Manchester AG“
Manchester war eine wirklich tolle Erfahrung, die mir gezeigt hat, dass es auch „anders“ funktioniert. Mit dem Blick als Berater aber noch viel erstaunlicher ist die Tatsache, dass der Unterschied zwischen Stadt und Unternehmen gar nicht so groß ist. Da wo Menschen zusammenkommen, gibt es Kultur. Ob Unternehmen oder Stadt, macht erst mal keinen großen Unterschied. Wie vor allem die Manchester AG mit dem durch den BREXIT ausgelösten Kulturwandel umgeht wird sich zeigen. Denn ein aufgezwungener Wandel erfährt selten hohes Commitment, das es braucht, um nachhaltig zu sein.
Achte und schätze jeden Menschen - und Du bekommst seine
Wertschätzung und Achtung zurück!
von Horst Bulla