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Hindsight-Bias: Danach ist man immer schlauer

"Das war ja klar" - oder etwa nicht? Wir möchten diese Woche beleuchten, warum wir vergangene Dinge oftmals als unausweichlich wahrnehmen und wie wir lernen können mit diesem sogenannten Hindsight Bias umzugehen.

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„Das hätte ich Ihnen auch gleich sagen können!“ ist so ziemlich eine der frustrierendsten Floskeln in einem Gespräch über ein gescheitertes Vorhaben. „Das war doch von Anfang an klar!“ reiht sich dabei meist direkt in die Feedback-Kette ein. Doch warum bekommt man besonders nach gescheiterten Projekten den Eindruck vermittelt, dass man scheinbar nur zu dumm war, die Meinung der richtigen Experten einzuholen? Einerseits kann dies natürlich daran liegen, dass man bestimmte Experten-Meinungen regelmäßig vernachlässigt - in diesem Fall sollte man sein generelles Vorgehen bei der Projektplanung und -umsetzung infrage stellen. Andererseits ist es jedoch ebenso möglich, dass ihre Feedback-Geber dem klassischen Rückschaufehler (aka. Hindsight-bias) unterliegen.

Was ist das Hindsight Bias?

Ich bediene mich nach dem gestrigen Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft nur ungern dem folgenden Beispiel, halte es aber dennoch für sehr anschaulich: In einer Umfrage vor der WM gingen 65,9 Prozent der deutschen Fans davon aus, dass sie der Nationalmannschaft den Einzug ins Finale zutrauen, wohingegen nur 1,6 Prozent von einem Ausscheiden in der Vorrunde für möglich hielten (Quelle: Presseportal). Nach der gestrigen Niederlage dürften sich die Meinungen jedoch häufen, die ein Ausscheiden der Deutschen nach den schwachen Testspielen des Jahres 2018 ja schon lange vor der Gefahr eines frühzeitigen Ausscheidens gewarnt hätten. Aufgrund der neuen Informationslage würde eine erneute Umfrage mit der Frage „Wie haben Sie das Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft vor der WM eingeschätzt?“ einen starken Richtungsumschwung anzeigen. Dies liegt nicht immer an falschem Stolz und der Unfähigkeit sich eigene Fehler einzugestehen, sondern vielmehr an dem unbewussten Bestreben des Menschen nach einer konsistenten bzw. vorhersagbaren Welt und einem bestärkenden Selbstbild (psychologicalscience.org). Wir sind uns in diesem Moment daher auch nicht darüber bewusst, dass wir vor Erhalt der relevanten Information (Deutschland verliert 0:2 gegen Südkorea) wohl einer anderen Vorhersage (Deutschland schafft es ins Finale) eine höhere Wahrscheinlichkeit eingeräumt hätten.

Warum uns das Hindsight Bias in der Arbeitswelt behindert?

Sowohl für die eigene Arbeit wie auch für die Interaktion mit Kollegen und die Bewertung von Mitarbeitern bietet das Hindsight Bias viel Potenzial für Probleme.

Das Hindsight Bias fördert Konflikte zwischen Kollegen

Was Diskussionen nach der WM anstrengend macht, kann für den Arbeitsalltag reelle Konflikte mit sich bringen. Entweder Sie haben das Gefühl bestimmte Kollegen wüssten im Nachhinein ständig alles besser und vermeiden die Interaktion mit diesem Kollegen, oder aber Sie ärgern sich darüber, dass Ihnen der Kollege wohl im Vorhinein relevante Informationen vorenthalten hätte (obwohl beides eventuell nicht stimmt). So oder so würde es die Interaktion innerhalb von Teams stark beeinträchtigen. Des Weiteren tendieren auch Führungskräfte dazu, das Scheitern von Mitarbeitern mit den „neuen“ Informationen als unausweichlich zu betrachten und dies innerhalb des jeweiligen Mitarbeiters zu verorten. Um dies auf unser Fußball-Beispiel zurückzuführen, dürften Sie in den nächsten Wochen vermehrt den Satz: „Ich habe ja schon immer gesagt, der Löw kann nichts“.

Mangelhafte Aufbereitung der eigenen Arbeit

Das Lernen aus Fehlern ist eine wesentliche Fähigkeit, welche sowohl die persönliche Weiterentwicklung wie auch berufliche Erfolge fördert (Mason, Yerushalmi, Cohen, Singh; 2016). Daher ist es unersetzlich, sich über die persönliche Tendenz zum unbewussten Hindsight Bias bewusst zu sein und vergangene Projekte bzw. Tätigkeiten objektiv zu reflektieren. Gerade die Tendenz, bestimmte Ereignisse aufgrund des neuen Informationsstands im Nachhinein als unausweichlich zu betrachten, kann ein großes Problem für die eigene Weiterentwicklung darstellen („Das konnte ja nichts werden, weil...“). Das Akzeptieren des Unausweichlichen behindert in diesem Fall die Betrachtung der unterschiedlichen Möglichkeiten, die man bei einem nächsten Versuch unternehmen könnte.

Wie vermeidet man das Hindsight Bias?

Hier muss man leider direkt vorwegschieben, dass die meisten Techniken gegen das Hindsight Bias leider absolut nutzlos sind (Gordon; 2014). Ich möchte daher nur auf zwei Techniken näher eingehen, die man auch für die eigenen Arbeitsprozesse ausreichend anpassen und weiterentwickeln kann. Für eine tiefere Methodenanalyse würde ich Ihnen den Artikel von Gordon (2014) ans Herz legen.

Sich selbst vor dem Hindsight Bias schützen

Da es sich beim Hindsight Bias um einen rein kognitiven Vorgang handelt, ist es besonders wichtig sich in die Reflexion zu zwingen. Eine kosten- und zeitsparende Methode ist das Formulieren einer „alternativen Liste“. Nach einem wichtigen Fehlschlag (oder auch Erfolg), kann es hilfreich sein, sich eine Liste mit alternativen Verläufen der Geschichte zu formulieren. In dieser Liste sollten sowohl die möglichen Ausgänge eines Vorgangs (z.B. „Deutschland wird Weltmeister“) wie auch deren bedingende Rahmenfaktoren („Wenn die Stürmer ihre Chancen vor dem Tor besser nutzen“) und die dafür nötigen Folgehandlungen („Überarbeiten und Intensivieren des Torschuss-Trainings“) notiert werden. Die leichteste Form dafür ist eine Art „Stammbaum-Grafik“, bei dem der Stamm bzw. Ausgangspunkt die Aufgabe und die Äste die unterschiedlichen Verläufe darstellen. Die Nachteile dieser Technik schränken diese jedoch auch ein. Zum einen kann diese Technik nicht angewendet werden, wenn sie nicht die eigene Person und das eigene Handeln betrifft. Aus diesem Grund bin ich beim Beispiel der Nationalmannschaft geblieben, da es aufzeigt, dass wir keinen der Ausgänge auch nur im Ansatz beeinflussen können. Aus diesem Grund sollte diese Technik auf keinen Fall in Situationen angewendet werden, in denen die listenführende(n) Person(en) nicht gleichzeitig auch die entscheidenden Akteure des Geschehens sind. Zum Beispiel hilft es weder dem Mitarbeiter noch dem Vorgesetzten, wenn sich nur der Vorgesetzte Gedanken darüber macht, was der Mitarbeiter hätte besser machen können und wie er dies am besten gemacht hätte. Warum man diese Technik mit Abstrichen dennoch z.B. in einem Zielvereinbarungsgespräch anwenden kann, erfahren Sie im nächsten Abschnitt. Der größte Vorteil des Formulierens einer Liste ist der Rückgewinn von Kontrolle über eine scheinbar unbeeinflussbare Situation. Wenn man sich über die nötigen Handlungen eines hoffentlich positiven Ausgangs bewusst ist, kann man sich für zukünftige Situationen strategisch vorbereiten („Das nächste Mal wird mir das nicht passieren, weil...“). Dieser Rückgewinn an Selbstwirksamkeit sollte bei einem erneuten Fehlschlag jedoch durch ein erneutes Aufzeigen von alternativen Möglichkeiten zum Experimentieren anregen („Ich versuche das nächste Mal etwas verrücktes, aber vielleicht klappt es“). Auf diese Weise behalten Sie stets die Kontrolle und können sich systematisch an einen größeren Erfolg herantasten und Rückschläge „sportlicher“ nehmen.

Strategien für die eigene Arbeitsgruppe

Wie bereits angemerkt ist die oben benannte Technik aufgrund von externer Schuldzuweisung („Hätte Löw mal besser aufgestellt“) nicht wirklich hilfreich. Sollten Sie jedoch zufällig Jogi Löw an den Tisch bekommen, wäre ein Erfolg dieses Vorgehens jedoch nicht unmöglich. Gemeinsam an Strategien zu arbeiten und sich gemeinsam auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten, schafft nicht nur ein gemeinsames Verständnis über die bedingenden Faktoren eines Problems, sondern auch vor allem ein Gefühl der gemeinsamen Verantwortlichkeit. Ich verlasse für eine verbesserte Anschaulichkeit nun den Bereich der Nationalmannschaft und bediene mich dem einer gemeinsamen Zielevaluation zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Fehlschläge können in diesem Setting mit Hilfe einer gemeinsamen Szenarien-Ausarbeitung eine gemeinsame Strategie entwickeln und gegenseitige Grenzen aufzeigen („Hätten Sie das nicht so machen können?“ – „Nein das geht nicht, weil..., aber vielleicht könnte ich...?“).

Im Gruppensetting halte ich das Einbauen eines kontrollierten Punkts auf der Tagesordnung für die hilfreichste Technik. Bereits zu Beginn eines Projekts sollten in regelmäßigen Abständen Alternativszenarien für den Outcome der gemeinsamen Arbeit eruiert und bewertet werden. Auf diese Weise kann man sich a) besser auf mögliche Störfaktoren vorbereiten und b) gegenseitig in die Verantwortung nehmen. Dieser Tagesordnungspunkt sollte, wie eigentlich jede Projektsitzung, in ein Protokoll übergeben werden, welches von allen Teilnehmern unterzeichnet wird. Ein „das war mir ja von Anfang an klar“ ist in der Folge nicht mehr möglich, da die Person dann auch die Verantwortung gehabt hätte während der Besprechungen zu agieren und sich einzubringen. Schlussendlich beginnt die Veränderung – wie so oft – jedoch bei der Erkenntnis, dass jeder von uns diesem Effekt unterliegen kann und dies wohl auch immer ein wenig muss. Dennoch schafft das Bewusstsein für diesen Vorgang auch die Möglichkeit, sich selbst und auch die Menschen im eigenen Umfeld besser für diesen Störfaktor zu sensibilisieren.

Wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blättern.

von André Malraux

Literatur

Gordon, M, (2014): An Analysis of Coping Measures and their Applicability for Decicion Making in Social Institutions. Non-Published. The Federmann School of Public Policy and Government Jerusalem

Mason, A., Yerushalmi, E., Cohen, E. [&] Singh, C., (2016): Learning from mistakes: The effect of students' written self-diagnoses on subsequent problem solving. University of Central Arkansas, Weizmann Institute of Science [&] University of Pittsburgh, PA.

Presseportal.de: https://www.presseportal.de/pm/111715/3965064

Psychologicalscience.org: https://www.psychologicalscience.org/news/releases/i-knew-it-all-along-didnt-i-understanding-hindsight-bias.html

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