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Frugalismus: Ausstieg mit 40?

Frugalismus als Bewegung der Besserverdiener bedeutet, bewusst genügsam zu leben, um in jungen Jahren für ein Leben als Frührentner zu sparen. Was wir von dieser Bewegung lernen können, zeigt der neue zweikern Artikel.

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Frugalismus ist ein Lebensstil, der verspricht, mit 40 in Rente zu gehen, vorausgesetzt, man lebt bis dahin sehr sparsam. Der Frugalist definiert sein Lebensmotto über seine finanzielle Freiheit und begibt sich für dessen Erreichung freiwillig in Askese. Welche Weichen für einen - auf den ersten Blick utopischen Renteneinstieg - gestellt sein müssen und wieso die Botschaft des Frugalismus eigentlich eine ganz andere sein sollte, erkläre ich in diesem Artikel.

Was ist Frugalismus?

Frugalismus ist eine einfache und sparsame Lebensweise, mit dem Ziel, wesentlich früher als das durchschnittliche Rentenalter, in den finanziellen Ruhestand gehen zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen frugal lebende Menschen monatlich ca. 50-80 % von ihrem monatlichen Einkommen sparen. Der Frugalist spart so lange, bis ca. das Vierfache von dem, was er jährlich zum Leben benötigt, als Vermögen angehäuft wurde. Außerdem empfiehlt es sich, in der Zeit des Sparens einen Teil seiner Ersparnisse in einen Fonds zu investieren. Dies soll die Ersparnisse weiterhin wachsen lassen, statt sie inflationär auf dem Sparbuch liegen zu lassen. Das sind die Empfehlungen einer Website für Frugalisten. Auf der Homepage eines eingefleischten Anhängers der Frugalismus-Bewegung geht es hauptsächlich um Geld, obwohl ständig betont wird, dass Geld nicht der Mittelpunkt des Lebens sei. Irgendwie paradox.

Was sich auf den ersten Blick nach einem Leben mit großen Einschränkungen anhört, ist für die Menschen der „FIRE“-Bewegung (financial independence, retire early) eher eine Möglichkeit, finanzielle Unabhängigkeit im kapitalistischen System zu erlangen. Es soll darum gehen, ein erfülltes, glückliches, aber auch genügsames Leben zu führen und Zeit für Freunde, Familie und Hobbys zu haben, statt sich mit Luxusgütern und Statussymbolen auszustatten. Für Menschen, die ein geringes Einkommen haben oder nicht gerne nach einem konsequenten Sparplan leben, ist dieses Lebensmodell allerdings nichts. Damit die Rechnung aufgeht, muss man außerdem davon ausgehen, dass man sein Leben lang gesund und fit und von Schicksalsschlägen verschont bleibt.

Die Sparmentalität

Sparsam zu leben ist in Deutschland ja nichts neues. Die Deutschen haben ca. 90 % des Volkseinkommens auf der hohen Kante. Das sind 2,3 Billionen Euro! Jeder zehnte Haushalt könnte ca. 13 Jahre von seinen Ersparnissen zehren, wenn man denselben Lebensstandard beibehält (laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2017). Es gilt allerdings zu beachten, dass es sich hier um einen Mittelwert über die Einkommensschichten hinweg handelt. Die Ersparnisse sind nämlich in Deutschland sehr ungleich verteilt. Nicht jeder kann sich das Sparen leisten. Während sich Menschen der unteren Einkommenshälfte um ca. 300 Euro pro Jahr verschulden, spart das oberste Prozent ca. 58.000 Euro, und das sind „nur“ ca. 35 % ihres Gehalts. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Nettolohn der Deutschen im Jahr sind 2018 war gerade einmal 24.000 €. Die vielzitierte Einkommensschere wird im Sparverhalten also sehr deutlich.

Klar wird: Sich ein finanziell unabhängiges Leben mit 40 Jahren zu ersparen, ist nur möglich, wenn man deutlich oberhalb der Existenzsicherung verdient.

Fazit zu Frugalismus

Unabhängig davon, was man von Frugalisten mit ihrem Lebensmodell hält: Wenn man Freiheit für sich so definiert, dass man sich finanzielle Unabhängigkeit schaffen kann - um beispielsweise mit 40 Jahren in Rente zu gehen - ist man als geringverdienender Mensch, schlichtweg unfrei. Wenn die untere Hälfte der Bevölkerung nicht einmal die Möglichkeit darin sieht, sich Rücklagen zu schaffen und sich sogar tendenziell verschuldet, läuft politisch und wirtschaftlich definitiv etwas falsch.

Die Idee des Frugalismus ist grundsätzlich sehr spannend und trifft den Nerv der Zeit: Zeit ist ein Gut, was man sich nicht kaufen kann. Aber offensichtlich ersparen. Während viele Menschen 40-50 Stunden arbeiten gehen, um ihren überdimensionierten SUV in einer überfüllten Stadt im Stau zu „parken“, sind Frugalisten früher zuhause und genießen ihre Freizeit, weil sie mit dem Rad und Picknickkorb zum See fahren. Das demokratische Gut Zeit (jedem von uns „gehören“ 24 Stunden/Tag) scheint der Frugalist also offenbar gut auszunutzen.

Ich frage mich nur, wieso Frugalisten ihr Leben finanziell bewusst sehr einschränken, um für ein „Leben danach“ zu sparen. Wäre es nicht schöner, Jobs zu schaffen, die man so gerne macht, dass sich arbeiten nicht danach anfühlt, möglichst schnell wieder flüchten zu wollen? Unsere Arbeitskultur läuft derzeit nach dem Prinzip sich herunterzuarbeiten bis man kurz vor dem Burn-out steht und feststellt, dass man die letzten Jahre - oder im schlimmsten Fall Jahrzehnte - damit verbracht hat, seine Lebensenergie im Büro zu „verschwenden".

Der Arbeitsplatz ist weniger ein Ort des Lernens und Austausches als ein Ort, an dem man ausbrennt. Frugalismus ist für mein Empfinden eine Konsequenz aus unserem heutigen Umgang mit dem Thema Job. Wir freuen uns auf ein Leben danach. Ein Leben, wo wir endlich die Dinge tun können, die uns Freude bereiten. Stattdessen sollten wir dringend unseren jetzigen Bezug zu Arbeit überdenken und wie wir in Zukunft Arbeitsplätze gestalten wollen.

Eine Zeit lang sehr genügsam zu leben und sein Sparkonto aufzufüllen, schafft ein anderes Bewusstsein für Geld in unserer von Luxusgütern und Statussymbolen geprägten Kultur. Frugalismus, der Calvinismus des 21. Jahrhunderts, zeigt uns, dass man die Ersparnisse auch anders nutzen kann. Dass wir uns nicht darüber definieren müssen, welches Auto wir fahren. Wir müssen nicht arbeiten gehen, um zu protzen. Vielleicht sollten wir uns einfach Arbeitsumgebungen schaffen, die wir gerne in unser Leben integrieren. Eine Arbeit, die uns erfüllt, in der wir uns mit unseren Talenten verwirklichen können.

Die strenge Form des Frugalismus ist in meinen Augen eine radikale Ansicht, die für eine kleine Bevölkerungsgruppe funktionieren kann. Für alle anderen Menschen, die nicht um des Renteneintrittsalters willen in Askese leben wollen, ist sie dennoch ein gedanklicher Anstoß, was im Leben wichtig sind.

Die Sparsamkeit ist die Tochter der Vorsicht, die Schwester der Mäßigung und die Mutter der Freiheit.

von Samuel Smiles (englischer Biograph [&] Sozialreformer)

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